Die Blüemlisalp

Heute schimmert oben auf der Blüemlisalp das Eis. Meterhoch türmt es sich auf den Gipfeln und fließt bis weit herunter auf die Hänge. Das war nicht immer so. Vor langer Zeit war die Blüemlisalp im Berner Oberland bis hinauf zum Blüemlisalphorn auf über 3.600 Meter über dem Meer mit Almen und Wiesen bedeckt.

Schon im März trieben die Bauern ihre Kühe hinauf auf die Wiesen. Sie feierten ein großes Fest, wenn die Senner mit den Kuhherden auf die Blüemlisalp zogen und die Sennhütten wieder in Betrieb nahmen. Für die Senner und Sennerinnen bedeutete das aber harte Arbeit. Zuerst mussten sie die großen Gruben ausputzen, damit sie die Milch auffangen konnten. So viel Milch gaben die Kühe, dass man Boote brauchte, um den Rahm abzuschöpfen. Das war auch kein Wunder, hatten die Kühe doch Zitzen über den ganzen Bauch und mussten viermal am Tag gemolken werden. Das war eine furchtbare Schinderei, aber es war auch eine sehr gut bezahlte Arbeit. Verdiente eine Magd oder ein Knecht sonst gerade einmal Unterkunft und Essen, wurden die Senner auf der Blüemlisalp mit Gold bezahlt.

Butter und Käse türmten sich in großen Scheunen, und es gab so viel davon, dass man selbst die Wagenräder aus Käse machte und Treppen aus Butter baute, man wusste einfach nicht, wohin mit dem ganzen Essen. Man hätte das Essen verschenken können, aber das wollten die Bauern nicht. Sie ließen den Käse und die Milch lieber verkommen.

Die Feen im Berner Oberland sahen diesem Treiben lange zu. Sie hatten das Land gesegnet, und nur durch ihren Zauber gediehen die Kühe so prächtig und gaben so viel Milch. Die Bauern wussten es ganz genau. Nur wenn sie von ihrem Überfluss und ihrem Reichtum etwas an die Armen weitergaben, würde der Segen anhalten.

Vielleicht, so dachten die Feen, ist das in den letzten Jahren in Vergessenheit geraten, und wir müssen die Menschen wieder daran erinnern. So warteten die Feen bis in den Herbst, bis zum großen Erntedankfest. Das schien ihnen der richtige Zeitpunkt.

Die Senner rollten große Käse ins Freie und türmten sie auf. Die Sennerinnen und Mägde formten große Butterkugeln und schichteten sie zu Pyramiden. Dann stellten sie die Kegel auf, und das Spiel konnte beginnen. Der reichste Bauer nahm die erste Butterkugel und warf sie über die Bahn. Alle neun Käsekegel fielen. Schon stand der nächste bereit und schickte die nächste Kugel über die Bahn. Jedes Mal, wenn eine Kugel alle Neune traf, spielte die Kapelle einen Tusch.

Vom Eiger und von der Jungfrau aus beobachteten die Feen das Treiben auf der Blüemlisalp, und es gefiel ihnen gar nicht. An der Butter, die hier verschwendet wurde, hätte eine ganze Stadt mehr als ein Jahr genug gehabt. Am Ende des Festes würden die Senner den Milchsee einfach auslassen. Tausende Liter Milch würden im Almboden versickern.

Mit einem Mal standen die Feen unter den Menschen. Eine von ihnen trug ein Kind auf dem Arm, und als das Kind das Kegelspiel sah, wollte es näher heran. So drängte sich die Fee mit dem Kind ein wenig nach vor.

Da ging es hoch her. Eine Kugel nach der anderen flog über die Bahn, und es gab Gelächter, wenn eine Butterkugel ihr Ziel verfehlte, und Jubel, wenn sie traf. Einer der Bauern hatte da besonderes Pech. Er spielte schon seit Stunden, und er verlor. Jeder Schub ging daneben, und sein Geld schwand langsam aber sicher dahin.

Die Wut packte ihn. Es konnte doch nicht sein, dass gerade er solches Pech hatte. Diese verdammten Butterkugeln. Sicher waren die daran schuld. Zornig drehte er sich um und sah in die Runde.

„Wenn eine Butterkugel mir kein Glück bringt, dann versuche ich es einmal mit einer beinernen“, sagte er und riss der Fee das Kind aus der Hand. Schneller als jemand schauen konnte, schlug er dem Kind den Kopf ab und warf damit nach den Kegeln.

Die Feen standen wie erstarrt. Als sie das tote Kind am Boden liegen sahen, kannte ihre Wut keine Grenzen. Ihre Schreie gellten über die Berge, und wer sie hörte, erstarrte zu Stein. Keiner entkam. Die Bauern, die Mägde und die Senner stürzten zu Boden, krümmten sich, und aus ihren Herzen wuchs der Fels, der sie bald durchdrang und für immer auf die Almen bannte.

Ein Eissturm zog auf und trieb düstere Wolken vor sich her. Schneeregen setzte ein, und mit einem Schlag fiel der Frost über die Berge her. Ein Orkan überzog die Wiesen mit Eis. Schnee fiel tage- und wochenlang, bis alles unter dem Gletscher verschwunden war. Kein Haus und kein Weg blieb verschont.

So wurde aus der blühenden Alm eine Eiswüste, ein Gletscher, der nun seit mehr als fünfhundert Jahren die Gipfel bedeckt. Aber es scheint, als würde der Zorn der Feen allmählich nachlassen, denn das Eis schmilzt. Die riesigen Gletscher auf der Blüemlisalp, der Jungfrau und dem Eiger ziehen sich zurück. Reichten sie vor hundert Jahren noch fast bis ins Tal, so muss man heute weit hinaufsteigen, um das Eis zu finden. Um bis zu zwei Kilometer sind die Gletscher geschrumpft und geben nach und nach die Almen wieder frei.

Freilich sind es Steinwüsten, Bergtäler und Hänge, glattgeschliffen vom Eis. Doch in wenigen Jahren könnten hier schon die ersten Gräser wachsen, und wenn das Eis lange genug wegbleibt, dann werden hier auch wieder Almen entstehen.

Vielleicht ist der Zorn der Feen aber gar nicht abgeklungen. Vielleicht ist das Schmelzen der Gletscher nur eine neue Strafe.

Der Türmer zu Klagenfurt

Einen schlechteren Türmer hatte Klagenfurt noch nie gesehen. Jede Nacht musste ihn der Nachtwächter vom Stammtisch aufscheuchen, und dann wankte der Türmer, die Trompete unter den Arm geklemmt, über den Neuen Platz auf die Stadtpfarrkirche zu. Wenigstens die Zeit sollte er den Leuten anzeigen. Dass er auf dem Stadtpfarrturm saß und darauf achtgab, ob es irgendwo brannte, das erwartete ohnehin niemand mehr.

Als der Türmer wieder einmal in einer der Spelunken einen Schnaps nach dem anderen in sich hineinkippte, geriet er an ein paar besonders spottlustige Klagenfurter.

„Wenn man genau ist“, meinte einer, „dann kann sich die Stadt den Türmer auch sparen. Das einzige was der löscht, ist sein Durst.“

„Aber geh“, sagte ein anderer. „Wenigstens ist der Neue Platz immer schön sauber.“

„Wie meinst du denn das?“, fragte der Türmer.

„Na, ganz einfach. Der Neue Platz ist immer schön sauber, weil du jede Nacht mit deinem Fetzen drüber gehst.“

„Ja, und feig ist er auch noch“, setzte ein anderer Gast nach. „Wisst ihr eigentlich, warum er immer in den Wirtshäusern herumhängt, warum ihn der Nachtwächter jede Nacht beim Kragen packen und zur Stadtpfarrkirche schleifen muss?“

Die Gäste sahen ihn erwartungsvoll an, und auch der Türmer machte große Augen.

„Gestrichen voll hat er die Hosen“, setzte der Gast fort, „weil er Angst hat, dass ihn die Toten holen. Ihr wisst doch. Zu Mitternacht darf der Türmer nicht nach Süden blasen, dorthin, wo der Friedhof ist. Und so besoffen wie er ist, weiß der ja schon nicht, wo links und rechts ist, wie denn dann erst, wo Süden ist?“

„Halt’s Maul, du Trottel“, schrie der Türmer, „ich werd dir schon zeigen, du … Ich werd’s dir schon zeigen“, trank noch einen Schnaps, packte seine Trompete und torkelte aus dem Gasthaus.

Diesmal musste der Nachtwächter nicht lange suchen. Der Türmer kam ihm am Neuen Platz schon entgegen. Forsch schritt er aus und hielt dabei einmal mit dem rechten, dann mit dem linken Arm das Gleichgewicht. Für den Gruß des Nachtwächters hatte er nur ein Murren übrig. So schwankte der Türmer auf den Stadtpfarrturm zu. Mit letzter Kraft erreichte er die Stiege, und auf allen vieren kroch er hinauf in die Türmerstube, zog sich am Geländer des Balkons hinauf und setzte die Trompete an den Mund.

Er war ziemlich außer Atem, und er rastete sich einen Moment aus. Seine Frau sah ihm von der Türmerstube aus zu. Sie lag schon im Bett und wunderte sich, dass ihr Mann so pünktlich war. Sie sah, wie er die Trompete hob und an den Mund setzte. Er blies, und ein erbärmlicher Trompetenton schallte nach Norden. Ja, und auch nach Osten und Westen blies er seinen nächtlichen Gruß.

Als er sich das Geländer entlang weiterschleppte, ahnte seine Frau nicht, was er vorhatte. Sie dachte: So, jetzt sieht er noch einmal in die Runde, und dann kommt er ins Bett, um seinen Rausch auszuschlafen. Aber da hatte der Türmer andere Pläne. Er stand immer noch ein wenig schwankend am Geländer, hielt sich mit einer Hand fest und hob mit der anderen die Trompete zum Mund.

Euch werd ich’s zeigen, dachte er sich. Ich trau mich nicht, nach Süden zu blasen? So ein Blödsinn, wer glaubt das schon, dass die Toten aus den Gräbern herauskommen.

Seine Frau merkte jetzt, was er vorhatte, sprang aus dem Bett und rannte auf ihn zu, um ihm die Trompete aus der Hand zu schlagen. Doch der Türmer war schneller. Ein Tröten erhob sich in die Luft, schwoll an und wehte nach Süden über den Friedhof.

Der Ton war kaum verklungen, als sie es schon hörten. Ein Klappern, ein Schlurfen, ein helles Klickern auf dem Pflaster der Straßen. Im Mondlicht sah der Türmer sie. Gerippe und halb verfaulte Leichen, die durch die Gassen rannten. Schnell huschten sie über den Neuen Platz, sammelten sich unter dem Lindwurm und wisperten. Sie kannten den Weg, sie wussten, wo der Türmer sich versteckte.

Die Tür ist fest verriegelt, sagte sich der Türmer. Da kommt keiner herauf, tot oder nicht, die Gerippe können mir nichts anhaben. Doch da täuschte er sich. Denn schon standen die ersten Toten am Fuß des Turms und krallten sich ins Mauerwerk. Einer nach dem anderen zog sich Stück für Stück in die Höhe. Hektisch lief die Frau des Türmers in die Stube zurück. Mit einem Kochlöffel bewaffnet stellte sie sich ans Geländer und schlug dem ersten Gerippe auf die Finger, als es sich über den Sims ziehen wollte. Heulend stürzte das Gerippe in die Tiefe und zerschellte.

Doch da war schon die nächste Leiche, die sich an das Geländer klammerte, und der jetzt vor Schreck wieder ganz nüchterne Türmer holte seine Schrotflinte und schoss dem Untoten in den Kopf. Dem nächsten hieb er den Kolben seiner Flinte in den Bauch, und unten auf dem Platz stapelten sich die Knochen. Doch es half nichts. Immer mehr und immer mehr Gerippe kletterten über das Geländer, drängten den Türmer und seine Frau an die Wand, und dann war einer der Toten schon ganz nah. Aus leeren Augenhöhlen stierte er den Türmer an, und es schien dem Türmer als könne er ein Knurren tief aus dem leeren Brustkasten des Untoten hören. Der Untote packte den Türmer an den Armen, hob ihn hoch und wollte ihn schon über das Geländer in die Tiefe werfen.

Da schlug es ein Uhr. Das Gerippe lockerte seinen Griff. Vor den Augen des Türmers zerfiel es zu Staub. Keine Minute später war der Spuk vorbei, und nur ein Fingerknochen, der sich im Geländer verhakt hatte, zeugte vom Angriff der Toten.

Der Tote in den Bergen

Heutzutage packen die letzten Sennerinnen und Almhalter noch vor Martini ihre Sachen und treiben das Vieh zu Tal. Sie überlassen die Hütten und Ställe den Kasermandln und Wildsendinnen, den Dämonen des Winters und ihrem Geistervieh.

Früher einmal aber, vor ein bisschen mehr als hundert Jahren, lebten das ganze Jahr über Menschen in Bürstegg auf 1700 Metern, und nur wenn es unbedingt sein musste, ging man den weiten Weg hinunter nach Lech. Im Winter, wenn sich der Schnee meterhoch türmte, war das natürlich unmöglich. Da konnten die Menschen manchmal nicht einmal vor die Tür, ja es kam vor, dass er Schnee so hoch lag, dass die Bauersleute durch den Kamin hinaufkriechen mussten, wenn sie die Sonne sehen wollten.

In Bürstegg wusste man, wie man sich auf dem Winter vorbereitet. Das Getreide war eingelagert, die Speckseiten hingen in der Speis, und selbst für die Toten sorgte man vor. Der Seppelbauer hatte schon im August so eine Ahnung, deshalb legte er sich einen Stapel Bretter zurecht. Sobald der erste Schnee fiel, wollte er einen Sarg zimmern. Irgendetwas sagte ihm, sie würden in diesem Winter einen brauchen. Und da er schon dabei war und ihm das Zinken und Hobeln Freude machte, baute er gleich noch einen zweiten Sarg.

Seine Frau fand das praktisch. Sie wusste nicht, wohin mit den Dörrzwetschken, und in so einem Sarg war jede Menge Platz. So standen die Särge auf dem Dachboden, der eine leer und der andere bis oben gefüllt mit Dörrzwetschken.

Das Gefühl hatte den Seppelbauer nicht getäuscht. Der Hannesle starb in der Dreikönigsnacht. Der alte Knecht schlief ein und wachte nicht mehr auf. Starr lag er am nächsten Morgen auf seinem Strohsack.

„Ist Zeit gewesen“, sagte der Seppelbauer, als er dem Hannesle die Augen zudrückte. Seit er sich erinnern konnte war der Hannesle am Hof gewesen. Lange Zeit als Kuhhirt und Käser, und als er dann älter und immer schwächer wurde, kümmerte er sich um die Kinder und trug manchmal noch das Holz für den Herd Scheit für Scheit in die Küche. In letzter Zeit aber, da hatte er es kaum von seinem Strohsack zum Küchentisch geschafft, und gegessen hatte er auch nur mehr ganz wenig. So war er von Tag zu Tag weniger geworden und leiser, und nun war er tot.

Gemeinsam trugen der Bauer und sein Moarknecht die Leiche auf den Dachboden, betteten sie in den Sarg und nagelten den Deckel zu. Bis sie den Hannesle nach Lech hinunterbringen und ihm ein ordentliches Begräbnis geben konnten, dauerte es sicher noch ein paar Wochen.

Der Jänner verging, und um Maria Lichtmess hörten die Winterstürme auf, und der Schnee glänzte in der Sonne. Der Seppelbauer sog die eisige Luft ein. In den nächsten Tagen würde es nicht mehr schneien. Wenn sie das schöne Wetter nutzten, konnten sie mit dem Hannesle ins Tal fahren und würden auch beim Aufstieg nicht in Schwierigkeiten kommen.

Der Moarknecht holte zwei lange Stangen aus der Werkstatt und band sie an die Seiten des Sarges. Der Bauer nahm das vordere Ende und der Moarknecht das hintere, und so stampften sie mit dem Sarg los.

Die Bäuerin stand noch eine Weile vor dem Haus und sah den beiden nach, wie sie den Sarg wie eine Sänfte zwischen sich trugen. Bis Lech brauchten sie ein paar Stunden, und es würde wohl bis in die Nacht dauern, bis die beiden wieder zurück waren. Dann sollten sie etwas Warmes und Kräftiges zu essen bekommen. Als Nachspeise, dachte sie, würde sie ihnen einen Kuchen mit Dörrzwetschken machen. Ein kleines Festessen zum Andenken an den Hannesle, das war genau das Richtige.

Das Selchfleisch köchelte bald vor sich hin, und die Bäuerin stieg hinauf auf den Dachboden, um ein paar Hände voll Dörrzwetschken zu holen. Sie kniete sich vor den Sarg und versuchte, den Deckel zu öffnen, aber das ging nicht. Da hatte doch der Bauer nicht nur den Sarg mit dem Hannesle zugenagelt, sondern auch den mit den Dörrzwetschken. Also stieg die Bäuerin wieder hinunter und holte eine Hacke. Mit der Schneide zwängte sie den Deckel auf, die Nägel quietschten, als sie zäh aus dem Holz glitten.

Der Schrei hallte durchs Dorf, und alle kamen gelaufen. Sie fanden die Bäuerin auf dem Dachboden, die Hände vor dem Gesicht und die Augen vor Schreck geweitet.

„Um Gottes Willen. Die haben die ganzen Dörrzwetschken nach Lech gebracht“, sagte die Bäuerin und konnte ihren Blick nicht vom Hannesle losreißen, der tot und starr vor ihr im Sarg lag.

Wie die Katze zu den Menschen kam

Weitab von den Menschen, draußen in der Savanne, lebte einst eine Katze. Sie streifte durch das Gras, fläzte auf den breiten Ästen der Bäume und freute sich über das süße Leben unter der afrikanischen Sonne. Doch eines Tages dachte sie sich: Es ist doch langweilig, so alleine. Ich suche mir einen Freund.

Es dauerte nicht lange, da hörte sie das Murren und Knurren eines Katers in der Nähe. Er hatte gerade eine dicke, fette Maus gefangen und spielte jetzt mit ihr. Als er die Katze sah, begann er zu schnurren und überließ ihr die Maus.

Das war ein Gefährte ganz nach dem Geschmack der Katze. Stark war er und zuvorkommend. Sicher ist mein Kater das edelste und stärkste Geschöpf auf der ganzen Erde, dachte sich die Katze. Aber die Katze wusste noch wenig von dieser Welt, und so war sie erstaunt und geschockt, als ein Leopard aus dem Dickicht sprang und ihren Kater samt der Maus, die er im Maul trug, verschlang.

Wenn der Leopard meinen Kater fressen kann, so ohne weiteres und so plötzlich, dann muss wohl der Leopard das stärkste Tier auf dieser Erde sein, dachte die Katze und schmiegte sich schnurrend an die Beine des Leoparden.

Das Glück währte allerdings nicht lange. Ein Löwe lauerte hinter einem Felsen, und als der Leopard daran vorbeispazierte, machte der Löwe einen großen Satz und fraß den Leoparden auf. Voller Bewunderung schloss sich die Katze dem Löwen an. So ein mächtiges Tier. Der Löwe musste wahrlich der Herrscher der Savanne sein, ja der König der Tiere.

Doch da hörte die Katze ein hässliches Geräusch. Patsch, und der Kopf des Löwen zerplatzte. Ein Elefant hatte den Löwen mit nur einem Fußtritt getötet. Schnell kletterte die Katze auf den Rücken des Elefanten und machte es sich zwischen seinen Ohren gemütlich. Ja, hier konnte ihr wirklich nichts Schlimmes mehr passieren. So ein Elefant würde sie vor allen Gefahren beschützen. Der Elefant war ein würdiger Gefährte für so ein schönes und edles Tier wie die Katze.

So in Gedanken versunken, mit sich selbst zufrieden, wurde die Katze durch einen dumpfen Knall aufgeschreckt. Der Elefant sank in die Knie, kippte zur Seite und war tot. Jetzt war sich die Katze ganz sicher. Der Mann mit dem Gewehr, der war das herrlichste Geschöpf auf Erden. Wer sonst konnte einen Elefanten mit nur einem Schuss töten?

Da die Katze beschlossen hatte, nur das mächtigste und stärkste Wesen der Erde als ihren Gefährten zu akzeptieren, folgte sie nun dem Mann zurück ins Dorf. Als sie bei der Hütte des Mannes ankamen, machte es sich die Katze auf dem Dach bequem. Sie lag da in der Sonne und räkelte sich. Zwischendurch streunte sie durch das Dorf und fing Mäuse. Manchmal stahl sie auch ein wenig Milch, und so verlebte sie viele glückliche Tage in dem Dorf. Bald hatte sich die Katze ganz gut eingelebt. Der Mann enttäuschte sie nicht. Er war wirklich ein sehr starkes Wesen, ein herrliches Geschöpf unter der Sonne. Doch eines Tages hörte die Katze Geschrei aus der Hütte des Mannes. Der Mann und seine Frau stritten. Sie brüllten einander an, und da taumelte der Mann vor die Tür, stürzte und fiel in den Staub.

Jetzt ist mir alles klar, sagte sich die Katze. Der Mann ist doch nicht das herrlichste Wesen auf Erden. Schon huschte sie vom Strohdach und schlüpfte in die Hütte. Dort beobachtete sie die Frau eine Weile, und als die Frau sich in einen bequemen Stuhl setzte und ein Buch aufschlug, hüpfte die Katze auf ihren Schoß und rollte sich dort ein. So kam die Katze zu den Menschen, und so kommt es, dass sich Katzen immer dort am wohlsten fühlen, wo es nicht nur Menschen, sondern auch Bücher gibt.

Richter, richte recht

Tief im Twimbergergraben erhebt sich auf einem Felsstock die Burg Waldenstein. Heute streichen Eulen durch die Gänge, und im Innenhof wächst ein kleiner Wald. Verlassen sind die großen Säle. In der alten Kanzlei fällt der Regen durch die zerbrochenen Fenster auf Bücher und Akten. Düsternis hat sich über die Burg gelegt.

Früher lebten hier die Herren von Ungnad, und wie ihr Name schon sagt, waren sie harte und oft brutale Gesellen. Sie erbauten diese Burg, und ihnen folgten andere, ebenso unfreundliche Ritter nach.

Einer von ihnen, er lebte im 17. Jahrhundert auf Burg Waldenstein, heiratete eine wunderschöne und um viele Jahre jüngere Frau. Viel zu lachen hatte die Frau nicht. Auf Burg Waldenstein wurden keine Feste gefeiert, und auch die großen, barocken Empfänge auf Schloss Wolfsberg durfte sie nicht besuchen. Das war alles nur Tand und verschwendete Zeit in den Augen des Herrn von Waldenstein. Seine Leidenschaft galt der Jagd. Jede Stunde, die er sich von seinen Geschäften lösen konnte, verbrachte er in den Wäldern. Ob Tag oder Nacht, Sommer oder Winter, wann immer es ging, stellte er den Rehen und Wildschweinen nach, lag im Dickicht auf der Lauer und schoss auf Wölfe und Hirsche.

Als der Cousin der Burgherrin, der Kornett Eckhart von Peckern, zu Besuch kam, lud ihn der Ritter von Waldenstein natürlich zur Jagd ein. Ein Mann musste einfach Freude daran haben, ein paar

Hasen oder Rehe zu schießen. Was konnte ein Mann denn sonst wollen?

Kornett Eckhart von Peckern war kein großer Jäger. Es machte ihm keinen Spaß, auf Tiere zu schießen, aber er wollte seinen Gastgeber nicht verärgern, und deshalb nahm er die Jagdeinladung an. Doch als er sah, wie grausam und brutal der Ritter die Tiere erlegte, suchte er schon am nächsten Tag eine Ausrede, um nicht mehr mit in den Wald reiten zu müssen. Zunächst dachte sich der Ritter wenig dabei. Wird halt ein Schwächling sein, dieser Kornett, ein Stubenhocker und Tintenkleckser.

So machte sich der Ritter alleine auf den Weg, und bei der Jagd vergaß er seinen Gast beinahe. Die nächsten Tage und Wochen blieb der Kornett bei seiner Cousine in der Burg, und ein aufmerksamer Beobachter konnte sehen, wie die junge Frau aufblühte, wie sie lachte und scherzte. Dem Ritter entging diese Veränderung nicht, und was er da sah, machte ihn eifersüchtig. Über seine Witze lachte sie nie, ihn sah sie niemals so an, und es war doch sehr verdächtig, wie sie seine Hand hielt.

Hinter dieser Vertrautheit vermutete der Ritter mehr. Er glaubte, seine Frau hätte sich in den Kornett verliebt. Das konnte er sich nicht gefallen lassen.

In Wahrheit freute sich die junge Frau nur, endlich einen Gesprächspartner gefunden zu haben, der sich in der Welt ein wenig auskannte, der ihr Neuigkeiten aus den großen Städten erzählte und nicht immer nur von so langweiligen Dingen wie der Jagd sprach. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie den Kornett für immer bei sich behalten.

Der Ritter von Waldenstein heckte einen Plan aus. Mit viel Geschick und sanftem Druck überredete er den Kornett zu einem weiteren Jagdausflug. „Die Herbstjagd ist eine große Sache“, sagte er. Da dürfe niemand fehlen, und so ließ auch der Kornett sein Pferd satteln, und sie ritten gemeinsam davon.

Zurück allerdings kam der Ritter von Waldenstein ohne den Kornett. „Es waren Räuber“, sagte der Ritter. „Wir konnten gar nichts machen. Sie haben den armen Kornett entführt und uns niedergeschlagen.“

Die junge Frau weinte und betete. Sie hoffte, die Räuber würden eine Lösegeldforderung stellen oder der Kornett könnte sich befreien und würde wieder zu ihr zurückkehren. Dabei befand sich der Kornett Eckhart von Peckern die ganze Zeit kaum fünfzig Meter von ihr entfernt. Es gab keine Räuber, und Überfall hatte es auch keinen gegeben. Der Ritter von Waldenstein selbst hatte den Kornett gefangen setzen und ins Burgverlies sperren lassen. Hinter acht Meter dicken Mauern saß der Kornett nun und verhungerte.

Erst viele hundert Jahre später entdeckte man das Gerippe des Kornetts. Er hatte sich einen Finger abgebissen und mit dem Blut folgenden Spruch an die Wand geschrieben:

Richter richte recht,

denn du bist Herr und ich bin Knecht.

Wie du hast gerichtet mich,

so soll Gott richten dich.

Kornett Peter Eckhart von Peckern 1669

Der liebe Augustin

Im Wirtshaus zum „Zum Roten Dachl“ am alten Fleischmarkt hockte nur ein einziger Gast an der Theke. Seine Narrenkappe saß ihm schief auf dem Kopf, und er hatte Mühe, das Glas zu heben. Der liebe Augustin war sturzbetrunken. Den ganzen Abend hatte er gewartet, aber nicht ein einziger Zuhörer war gekommen. Dabei war heute doch Donnerstag, und am Donnerstag ging es beim Roten Dachl immer hoch her. Da kamen die Arbeiter und die Marktfrauen, die Handwerker und Büttel und sogar der Bürgermeister ließ sich das Konzert des lieben Augustin nicht entgehen. Jeden Donnerstag Abend beim Roten Dachl, da spielte er auf und machte seine Späße. Aber seit die Pest in der Stadt war, blieben die Gäste aus.

„Ich glaub, heut kommt keiner mehr“, sagte der Wirt und wischte mit dem dreckigen Fetzen über die Theke. „Was meinst du, August? Wer ma Sperrstund machen?“

Der liebe Augustin raffte sich auf und sah den Wirt aus verschwommenen Augen an.

„Ein Fluchtachterl noch“, lallte er und hielt sich krampfhaft an der Theke fest.

„Willst nicht lieber auf der Ofenbank schlafen?“, fragte der Wirt und stellte ihm das Glas hin.

„Nein, wird schon gehen.“ Der liebe Augustin kippte den Wein in einem Zug hinunter, nahm seinen Dudelsack und wankte zur Tür.

Die Häuser entlang taumelte der liebe Augustin über den Kohlmarkt Richtung Burgtor. In seinem Rausch hielt er den Blick starr zu Boden gerichtet, und so sah er nicht, dass schon wieder ein paar Häuser mit weißen Kreuzen markiert waren. Dort, in diesen Häusern waren alle gestorben, krepiert an der Pest. Es waren so viele Tote. Jeden Tag wurden es mehr und immer mehr, und der liebe Augustin dachte, das Sterben würde erst dann ein Ende nehmen, wenn auch der letzte Wiener in die Grube gefahren war. Da half nur eines, man musste singen und feiern, solange es noch ging. Bist du einmal tot, dann ist es vorbei mit dem schönen Leben.

Auf seinem Weg sah er die Leichenberge auf der Straße. Die Pestknechte arbeiteten zwar Tag und Nacht, aber sie schafften es nicht, alle Toten mit Karren aus der Stadt zu fahren und dort zu beerdigen. So warfen die Menschen die Leichen einfach auf die Straße, und da blieben sie dann und begannen zu verwesen. Ganz erbärmlich stank es hier, und es grauste dem lieben Augustin. Er wollte nur weg, nach Hause in sein kleines Zimmer in St. Ulrich.

„Lauf, lieber Augustin, lauf“, sagte er sich, und von Panik gepackt wollte er losrennen, aber seine Füße gehorchten ihm nicht. Sie verhedderten sich ineinander, und er stolperte, und es wurde ihm schwarz vor Augen.

Einige Stunden später, es dämmerte schon der Morgen, kamen zwei Pestknechte mit ihrem Karren beim Burgtor vorbei. Auf der Ladefläche stapelten sich die Leichen. Da stand ein Fuß, da ein Arm aus dem Haufen hervor, und überhaupt ging man nicht sehr zimperlich mit den Toten um. Als sie den lieben Augustin da liegen sahen, traten sie ihm gegen den Bauch und gegen den Kopf. Nur um sicher zu sein, dass er auch wirklich tot war.

„Wenn es den erwischt hat“, sagte einer der Pestknechte, „dann steht die Welt nicht mehr lang. Nimm seinen Dudelsack und leg ihn dazu. Der liebe Augustin soll auch da drüben aufspielen können.“

So karrten sie den lieben Augustin hinaus in Richtung St. Ulrich. Jetzt kam er doch noch nach Hause, wenn auch nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Bei der Pestgrube luden die Knechte den Wagen ab und warfen die Leichen ins Massengrab. Auch der liebe Augustin landete mitsamt seinem Dudelsack in der Grube. Dann machten sich die Pestknechte wieder auf den Weg. In Wien gab es noch jede Menge Arbeit, und das Grab würden sie wohl heute Nachmittag oder überhaupt erst Morgen zuschaufeln.

Da lag er nun, der liebe Augustin, eingeklemmt zwischen den Toten und leise schnarchend. Bald schien ihm die Sonne ins Gesicht, und Fliegen krabbelten ihm in die Nase. Zuerst wischte er die Fliegen mit der Hand weg, aber das half wenig. Er versuchte, sich zur Seite zu drehen, aber das ging nicht. Jetzt schlug der liebe Augustin die Augen auf und sah einer toten Frau direkt ins Gesicht.

„Um Gottes Willen“, entfuhr es ihm. „A so a schiaches Gfrieß.“

Es stank nach Tod und Verwesung, und wohin sich der liebe Augustin auch drehte, überall waren Leichen.

„Jetzt hat’s mich erwischt“, dachte er. „Entweder ich bin tot und schon ein Geist, oder ich hab eindeutig zu viel gesoffen. Aber sei es, wie es sei. Der liebe Augustin lässt sich vom Tod nicht ins Bockshorn jagen. Sing, lieber Augustin, musst singen, dann wird selbst die Pest Reißaus nehmen vor dir.“

Den Dudelsack hatte er gleich gefunden, und so setzte sich der liebe Augustin nun mitten unter die Toten, blies in seinen Dudelsack und begann zu singen.

O du lieber Augustin,

Augustin, Augustin,

o du lieber Augustin,

alles ist hin! Geld ist weg, Mensch ist weg, alles hin, Augustin. O du lieber Augustin, alles ist hin.

Sein Lied klang über das Grab hinaus, und einige Pestknechte, die gerade mit einer weiteren Ladung Leichen kamen, hörten es. Sie standen verwundert am Rand der Pestgrube und starrten auf den lieben Augustin hinunter. Sie konnten nicht glauben, dass da einer von den Toten aufgestanden war und jetzt mitten unter den Leichen seinen Dudelsack spielte.

„Wollt’s mir nicht helfen“, rief er zu ihnen hinauf. „Oder werd’s noch eine Weil Maulaffen feilhalten?“

Die Pestknechte ließen einen Strick zu ihm hinunter und halfen ihm so aus der Grube, und als der liebe Augustin vor ihnen stand, putzte er seinen alten Rock ab, setzte die Narrenkappe wieder auf und ging davon. Noch eine Weile konnten die Pestknechte sein Lied hören: Rock ist weg, Stock ist weg, Augustin liegt im Dreck, o du lieber Augustin, alles ist hin. Und selbst das reiche Wien, hin ist’s wie Augustin; weint mit mir im gleichen Sinn, alles ist hin! Jeder Tag war ein Fest, und was jetzt? Pest, die Pest! Nur ein groß’ Leichenfest, das ist der Rest. Augustin, Augustin, leg’ nur ins Grab dich hin! O du lieber Augustin, alles ist hin!

An der Stelle der Pestgrube befindet sich heute das Strohplatzl. Dort ließ der Wiener Bürgermeister Karl Lueger 1908 zu Ehren des lieben Augustin einen Brunnen errichten. Dort steht der liebe Augustin noch heute. Nur während des Zweiten Weltkriegs verschwand er für einige Jahre. Die Nationalsozialisten schmolzen die Statue für Kriegszwecke ein. Ein geistiger Nachfahre des lieben Augustin, schrieb eines Nachts folgende Zeilen auf den leeren Sockel des Brunnens: „Der Schwarzen Pest bin ich entronnen, die braune hat mich mitgenommen.“

Der Adler über der Hofburg

Wenn heute jemand den Bundespräsidenten im Leopoldinischen Trakt der Hofburg besuchen will, so muss er über die sogenannte Adlerstiege hinauf in die Präsidentschaftskanzlei steigen. Die meisten Gäste, ob Politiker, Künstler oder Schüler, werden sich wohl kaum große Gedanken um den Namen dieser Stiege machen. Dabei soll der seltsame Name an eine ebenso seltsame Geschichte erinnern.

Es war am frühen Morgen des 23. Mai 1706. Kaiser Joseph I. stand an einem Fenster in der Hofburg, tief in Gedanken und müde von einer durchwachten Nacht. Im fernen Belgien kämpften seine englischen Verbündeten gegen die Franzosen. Von dieser Schlacht bei Ramillies hing vieles ab. Nur wenn die englische Armee unter John Churchill, dem ersten Grafen von Marlborough siegte, gab es noch Hoffnung, dass die spanischen Niederlande doch noch an das Habsburgerreich fallen würden.

Prinz Eugen von Savoyen, auf dem die große Hoffnung des Kaisers ruhte, kämpfte zur gleichen Zeit in Italien, und dort sah es gar nicht gut aus für die kaiserlichen Truppen. Das Schicksal des Reiches stand wieder einmal auf Messers Schneide.

Gern hätte sich Kaiser Joseph an den geheimen Wahlspruch seines Hauses gehalten: Bella gerant alii, tu felix Austria nube – Mögen die anderen Kriege führen, du glückliches Österreich, heirate.

Angeblich hatte Matthias Corvinus, der Ungarnkönig, diesen Spruch im 15. Jahrhundert geprägt. Nett gemeint hatte Corvinus das nicht. Eigentlich wollte er damit sagen, die Habsburger seien zu feige, um zu kämpfen, und scheuten das Schlachtfeld.

Man kann viel über Joseph I. sagen, aber dass er den Krieg scheute, das ganz bestimmt nicht. Seine Regierungszeit kannte den Frieden kaum, und Joseph ritt auch selbst in den Kampf. So machte ihn die Untätigkeit, die Machtlosigkeit dieser Nacht und dieses anbrechenden Tages nervös.

Immer noch starrte er aus dem Fenster der Hofburg. Er hörte gar nicht, was seine Berater ihn fragten. Er starrte ins Leere, und dann sah er über den Dächern der Stadt eine schwarze Silhouette. Ein Vogel näherte sich der Hofburg. Ein Adler.

Noch nie hatte der Kaiser einen Adler in Wien gesehen. Jetzt zog der Raubvogel eine Schleife über dem Leopoldinischen Burgtrakt, flog ganz nahe am Kaiser vorbei und ließ sich auf dem Rasen direkt vor dem Fenster nieder. Der Kaiser und der Adler sahen einander in die Augen. Nur eine halbe Minute dauerte diese Begegnung, dann hob der Adler vom Boden ab und flog davon.

Der Kaiser atmete auf. Nun wusste er, die Schlacht von Ramillies war gewonnen. Lächelnd drehte er sich um und empfing den Boten, der ihm die Siegesnachricht brachte.

Wie der Riese dem Drachen die Zähne gezogen hat

An der Grenze zwischen Kärnten und Slowenien erhebt sich der Frauenkogel, der auf Slowenisch Dovška Baba heißt. Auf der kärntnerischen Seite steigt man hinunter nach St. Jakob im Rosental, und auf der slowenischen Seite gelangt man nach Dovje und Mojstrana.

Tief unter dem Berg, so sagt man, liegt ein See aus purem Gold. So viel Gold gibt es da unten, dass nicht einmal sieben große Schiffe den Schatz bergen könnten, wenn denn jemand wüsste, wie man den verborgenen Eingang zum unterirdischen See findet.

Aber der versteckte Eingang ist nicht das einzige Hindernis. Angeblich bewacht ein siebenköpfiger Drache den Schatz, und dieser Drache hat ziemlich schlechte Laune. Er würde viel lieber draußen herumstreifen und über die Dörfer herfallen. Schon viele hundert Jahre war er hier eingesperrt. Früher war er einfach ins Tal geflogen, hatte sich ein paar Menschen geschnappt, sie in seine Höhle gebracht und gebraten. Heute musste er sich mit Fisch und Grottenolmen zufriedengeben. Denn er konnte nicht ins Freie, und das kam so:

Vor vielen hundert Jahren spürte der Drache eines Morgens einen stechenden Schmerz in einem seiner sieben Mäuler. Der Zahn fühlte sich an, als wäre er aus glühendem Eisen. Der Drache warf sich in seiner Höhle hin und her. Tränen so groß wie Kürbisse rollten aus seinen Augen, und er wusste sich nicht zu helfen. Seine Schmerzensschreie versetzten die ganze Gegend in Angst und Schrecken. Die Menschen dachten, der Drache sei wütend und werde gleich über sie herfallen.

Der Drache wusste, nur einer konnte ihm helfen. Der Riese von Ravne, der wusste, wie man Zahnschmerzen heilt. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ins Freie zu kriechen und nach dem Riesen zu schreien.

Der Riese saß auf einem Gipfel der Karawanken und machte sich einen ruhigen Tag. Heute hatte noch niemand nach ihm verlangt, kein Bauer brauchte Hilfe bei der Ernte, und keine Kuh hatte sich ein Bein gebrochen. Niemand schleppte große Lasten und brach fast darunter zusammen. Es gab für den Riesen heute wirklich nicht viel zu tun, und deshalb langweilte er sich ein wenig. Als er den Hilferuf des Drachen hörte, sprang er gleich auf und lief über Berg und Tal.

Mit aufgerissenem Maul erwartete ihn der Drache.

„Da, da, der Zahn“, nuschelte der und zeigte mit seinen Krallen auf den entzündeten Zahn.

„Mach weiter auf“, sagt der Riese und steckte seinen Kopf ins Maul des Drachen. „Weiter, ich kann ja gar nichts sehen. Aha. Da, ist er das?“

Der Drache jaulte vor Schmerz, als der Riese an dem Zahn rüttelte.

„Sei nicht so wehleidig. Das werden wir gleich haben.“ Der Riese zog den Kopf wieder aus dem Maul des Drachen und überlegte. „Hör zu, wenn ich dir den Zahn ziehe, dann musst du mir etwas versprechen“, sagte der Riese.

„Ich verspreche alles, jetzt mach schon.“

„Du wirst in Zukunft in deiner Höhle bleiben und auf den Schatz aufpassen. Und da wirst du bleiben, haben wir uns verstanden? Keine Menschen mehr zum Mittagessen, keine Kühe und keine Schafe.“

Wohl oder übel musste der Drache darauf eingehen. Stumm nickte er und hielt dem Riesen das Maul hin. Mit einer mächtigen Zange packte der Riese den Zahn und zog daran. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen das Maul des Drachen, und da knirschte es, und dann gab es ein Knacken, und der Riese kippte samt dem Zahn um. So heftig hatte er gezogen, dass er nicht nur das Gleichgewicht verlor, auch die Zange sprang ihm aus der Hand, und der Drachenzahn purzelte hinunter ins Tal, wo er noch heute zu sehen ist. Als Babji Zob finden wir ihn in der Nähe von Bled. Darunter befindet sich eine 300 Meter lange Tropfsteinhöhle.

Wie die Kärntner das Singen lernten

Am Pflügelhof im Maltatal ging den Mägden und Knechten die Arbeit schwer von der Hand. Die Sonne brannte ihnen auf die Köpfe, wenn sie draußen auf der Wiese standen und das Gras mähten. In großen Schwüngen neigten sich die Halme unter den Sensen. Schritt für Schritt arbeiteten sich die Frauen und Männer vor, keuchend und stumm.

An diesem Vormittag kam eine Frau am Pflügelhof vorbei und fragte nach Arbeit. Sie war keine Magd, das wussten alle. Es schien, als ginge ein Leuchten von ihr aus, und als sie nach einer Sense griff und das erste Gras unter ihren Schwüngen fiel, sahen alle auf und staunten. Die Knechte murmelten, und die Mägde steckten die Köpfe zusammen. Das war sicher keine Menschenfrau, so wie sie aussah, so wie sie das Gras mähte, musste sie eine Salige sein.

Von nun an kam die Salige jeden Tag und half bei der Arbeit. Das Gras fiel ohne Mühe unter den Sensen. Die Äpfel purzelten wie von selbst in die Schürzen und Säcke, und die Kühe und Ziegen gaben mehr und süßere Milch als jemals zuvor.

Das Leben am Pflügelhof war leicht in diesem Sommer. Die Salige war aber noch nicht ganz zufrieden. Die Menschen lachten so selten. Sie waren nie fröhlich und ausgelassen. Nicht nur um bei der Arbeit zu helfen war die Salige über die Berge vom Mölltal her auf den Pflügelhof gewandert. Ihr größtes Geschenk hielt sie noch zurück. Aber dann, eines Tages im Herbst bei der Flachsernte, begann sie zu summen. Der Rhythmus breitete sich unter den Arbeitern aus, und schon nahmen die ersten die Melodie auf und summten mit. Zuerst leise, dann immer lauter und kräftiger begann die Salige zu singen: „In da Mölltalleitn, auf da Sunnaseitn, do blüahn die Bleamlan noch amol so schean.“

Zuerst hörten die Menschen zu, aber schon bald sangen sie mit. Die Mägde folgten der Stimme der Saligen, und die Knechte fanden ihre eigene Stimmlage, und bald tönte es dreistimmig über die Wiesen und Wälder. So lernten die Menschen am Pflügelhof im Maltatal das Singen, und sie trugen die neue Kunst hinaus in das Land. Die Salige war mit ihren Werk zufrieden und zog weiter. Seither singen die Kärntner, nicht immer ganz richtig, aber voller Leidenschaft und in beiden Landessprachen.

Dijanina lista – out now!

Knjiga Vilhelma Kuesa Dijanina lista priča istinitu priču o izuzetnoj ženi Dijani Budisavljević, koja je tokom Drugog svetskog rata sprovela jednu od najvećih humanitarnih akcija ne samo na tlu podeljene i okupirane Jugoslavije nego i u Evropi pod okupacijom ili dominacijom nacističke Nemačke. Reč je o akciji spasavanja više hiljada srpske dece iz logora Nezavisne Države Hrvatske.

Akcija spasavanja srpske dece iz ustaških logora u svom punom obimu otpočela je posle operacije nemačkih i snaga NDH u Bosanskoj Krajini i na Kozari, u junu i julu 1942. Posle užasnih pokolja tokom same operacije, desetine hiljada osoba svih uzrasta je deportovano u Jasenovac, najveći ustaški koncentracioni logor. Veliki broj zatočenika je odmah ubijen, dok je jedan broj muškaraca i žena upućen u logore u Nemačkoj ili Norveškoj, direktno ili preko logora na Beogradskom sajmištu. Od žena su pre deportovanja oduzeta deca, čak iako se radilo o sasvim malim bebama. Tako se početkom leta 1942. u ustaškim logorima u Jasenovcu, Staroj Gradiški i okolini našlo više hiljada srpske dece odvojene od roditelja, među kojom je ubrzo nastao pomor od gladi i bolesti. Velika grupa dece je usmrćena otrovnim gasom u logoru Stara Gradiška. Potpuno uništenje ovih malih zatočenika sprečila je akcija koju je vodila Dijana Budisavljević, tada već sa širokim krugom saradnika.
Odmah nakon rata pripadnici OZNA-e od Dijane Budisavljević oduzimaju kompletnu brižljivo vođenu kartoteku s fotografijama, te joj zabranjuju dalji rad.

Vilhelm Kues je uspeo verno da dočara ono što je bilo osnovno: atmosferu masovnih progona i smrti. Njegova knjiga ima izuzetan značaj za upoznavanje široke javnosti s jednim tako važnim humanitarnim poduhvatom kakav je spasavanje srpske dece iz ustaških logora.

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