Wie die Kärntner das Singen lernten

Am Pflügelhof im Maltatal ging den Mägden und Knechten die Arbeit schwer von der Hand. Die Sonne brannte ihnen auf die Köpfe, wenn sie draußen auf der Wiese standen und das Gras mähten. In großen Schwüngen neigten sich die Halme unter den Sensen. Schritt für Schritt arbeiteten sich die Frauen und Männer vor, keuchend und stumm.

An diesem Vormittag kam eine Frau am Pflügelhof vorbei und fragte nach Arbeit. Sie war keine Magd, das wussten alle. Es schien, als ginge ein Leuchten von ihr aus, und als sie nach einer Sense griff und das erste Gras unter ihren Schwüngen fiel, sahen alle auf und staunten. Die Knechte murmelten, und die Mägde steckten die Köpfe zusammen. Das war sicher keine Menschenfrau, so wie sie aussah, so wie sie das Gras mähte, musste sie eine Salige sein.

Von nun an kam die Salige jeden Tag und half bei der Arbeit. Das Gras fiel ohne Mühe unter den Sensen. Die Äpfel purzelten wie von selbst in die Schürzen und Säcke, und die Kühe und Ziegen gaben mehr und süßere Milch als jemals zuvor.

Das Leben am Pflügelhof war leicht in diesem Sommer. Die Salige war aber noch nicht ganz zufrieden. Die Menschen lachten so selten. Sie waren nie fröhlich und ausgelassen. Nicht nur um bei der Arbeit zu helfen war die Salige über die Berge vom Mölltal her auf den Pflügelhof gewandert. Ihr größtes Geschenk hielt sie noch zurück. Aber dann, eines Tages im Herbst bei der Flachsernte, begann sie zu summen. Der Rhythmus breitete sich unter den Arbeitern aus, und schon nahmen die ersten die Melodie auf und summten mit. Zuerst leise, dann immer lauter und kräftiger begann die Salige zu singen: „In da Mölltalleitn, auf da Sunnaseitn, do blüahn die Bleamlan noch amol so schean.“

Zuerst hörten die Menschen zu, aber schon bald sangen sie mit. Die Mägde folgten der Stimme der Saligen, und die Knechte fanden ihre eigene Stimmlage, und bald tönte es dreistimmig über die Wiesen und Wälder. So lernten die Menschen am Pflügelhof im Maltatal das Singen, und sie trugen die neue Kunst hinaus in das Land. Die Salige war mit ihren Werk zufrieden und zog weiter. Seither singen die Kärntner, nicht immer ganz richtig, aber voller Leidenschaft und in beiden Landessprachen.

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